Wie Individualität zerstört wurde

Zeitzeugen berichten vom Erziehungssystem in der DDR.

Das gesetzlich festgelegte Erziehungsziel des DDR-Bildungssystems war die Herausbildung „sozialistischer Persönlichkeiten“. Dazu schuf das Ministerium für Volksbildung das System der Spezialheime der DDR-Jugendhilfe. Kinder und Jugendliche, die in die Spezialheime eingewiesen wurden, galten als „schwererziehbar“ oder „verhaltensgestört“. Das sind dehnbare Begriffe, die auch unangepasstes Verhalten enthalten konnte.

Die Methodik des Systems war darauf ausgerichtet, die Individualität durch „Umerziehung“ zu brechen. Da über dieses System in der ehemaligen DDR den Schülern wenig bekannt ist, lud die Fachgruppe Politik und Geschichte die Zeitzeugen Jutta Fleck und ihre Tochter Beate Gallus in die  Theodor-Heuss-Schule (THS) ein.

Unter dem Motto „Aufarbeitung der SED-Diktatur “ fand  eine Themenwoche statt. An dieser nahmen 300 Schülerinnen und Schüler teil.

Jutta Fleck und ihre Tochter Beate Gallus erzählten sehr eindringlich von ihrem Schicksal in der ehemaligen DDR.  Jutta Fleck ist seit 2009 Leiterin des Schwerpunkts Politisch-Historische Aufarbeitung der SED-Diktatur in der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung in Wiesbaden. Bekannt ist sie auch als „Die Frau vom Checkpoint Charlie“.

Frau Fleck war dem Regime in der DDR in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts  entkommen, um gemeinsam mit ihren beiden Töchtern Beate und Claudia in der Bundesrepublik Deutschland leben zu können.

Einblicke in ein System der Zwangsarbeit

Der Historiker Dr. Christian Sachse und die Dokumentarfilmemacherin Anne Worst waren auch zu Gast und ermöglichten den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in das System der Erziehung und Zwangsarbeit in der DDR. Nach den Vorträgen  konnten die Lernenden mithilfe des Films „Westware aus dem Ostknast“ von der Dokumentarfilmerin Anne Worst auch ihr eigenes Konsumverhalten überdenken. Die Zeitzeugen Jutta Fleck, Beate Gallus und Peter Timm ergänzten die Vorträge durch ihre Berichte über die Haft- und Heimerlebnisse.

Erfolgreiche Familienzusammenführung

Die Schülerinnen und Schüler waren besonders von der Schilderung des gemeinsamen misslungenen Fluchtversuchs von Jutta Fleck und ihren zwei Töchtern im Jahr 1982 und ihrer Inhaftierung im berüchtigten  Frauengefängnis Hoheneck bewegt. Jutta Fleck wurde schließlich 22 Monate später von der Bundesregierung freigekauft. Doch ihre Töchter mussten im Osten bleiben. Sie wollte ihre in der DDR zurückgehaltenen Töchter aber auch in die BRD holen. Deshalb demonstrierte sie mit Plakaten am berühmten Grenzübergang in Westberlin „Checkpoint Charlie“, war beim Papst zu Besuch und machte weltweit auf ihr Schicksal aufmerksam. Auch ihre Töchter, die unter ständiger Beobachtung standen, kämpften  mit ihren Möglichkeiten für ihre Freilassung, um zu ihrer Mutter zu gelangen.  Nach sechs Jahren gelang es Jutta Fleck, ihre beiden Töchter wieder in ihre Arme zu schließen.

Die aus dem Osten

Beate Gallus, die heute als Tänzerin und Choreografin arbeitet, erzählte von der schmerzlichen Trennung von ihrer Mutter, über ihr Leben im Heim und anschließend bei ihrem Vater und von der Ausgrenzung nach ihrer Ausreise 1988 in einer Münchner Schule, wo man sie oft  „Die aus dem Osten“ bezeichnete.

Geschichte lebhaft und authentisch vermitteln

Die Schülerinnen und Schüler waren sehr berührt von den Erzählungen der Frauen. „Für so etwas kommt man ins Gefängnis?“ oder „Hatten sie noch damals einen Fünkchen Hoffnung, dass alles wieder gut würde?“ fragten sie erstaunt.

Nach der Veranstaltung wurden die Gäste von den Schülerinnen und Schülern umringt. Viele hatten noch Fragen und ließen sich das Buch „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ signieren. Auch der Vorsitzende der Fachgruppe Politik und Geschichte  und Organisator der Veranstaltung Thorsten Braun war mit der Themenwoche sehr zufrieden. Geschichte authentisch und lebendig zu vermitteln ist dem Pädagogen sehr wichtig.  Weitere Informationen zu diesem Thema unter www.hlz.hessen.de/themen/th-sed.html

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