Realitätsschock bleibt aus
Interessiert verfolgten die Theodor-Heuss-Schüler die Podiumsdiskussion mit Politikern aus fünf Parteien. Nur die AfD erschien trotz Einladung nicht. ■ Foto: Schade
OFFENBACH ■ Ob Lehrermangel, Integration oder soziale Gerechtigkeit: Bei einer Podiumsdiskussion in der der Theodor-Heuss-Schule (THS) stell ten sich Politiker aus fünf Parteien zwei Stunden lang den Fragen der Schüler. Nur eine Partei war der Einladung nicht gefolgt: die AfD.
Von Veronika Schade
Die Landtagswahl rückt näher, für viele der Oberstufenschüler des berufli chen Gymnasiums und der Fachoberschule die erste ihres Lebens. Aus diesem Anlass lud die Fachgruppe Politik und Wirtschaft Politiker zur Dis kussionsrunde an die Schule ein. Teilnehmer sind der hessische Sozialmi nister Stefan Grüttner von der CDU, die SPD-Landtagskandidatin Nadine Gersberg, der FDP-Direktkandidat Oliver Stirböck, die Linken Landtagsabgeordnete Janine Wissler und Mathias Wagner, Vorsitzender der Grünen im Landtag.
Eingeladen ist auch die AfD-Kandidatin Christin Thüne, die jedoch kurzfris tig absagt. Heilmut Merrettig, der sie vertreten soll, lässt ebenfalls die Chance ungenutzt, mit den jungen Leuten ins Gespräch zu kommen. Ku riosum am Rande: Bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Oberbür germeisterwahl in Offenbach im vergangenen Jahr an der Leibnizschule ist es ausgerechnet Thüne, die lautstark auf ihr Recht pocht, mitdiskutieren zu dürfen. Eine Einladung erhielten jedoch nur die drei aussichtsreichsten Kandidaten.
Die Moderation übernehmen die angehenden Abiturientinnen Azada
Sharifi und Mina Shamal. Etwa nach dem Lehrermangel, der laut Sozialmi nister Grüttner gar nicht so gravierend ist: ,,Zur Abdeckung aller Schulstun den in Hessen wären 38 000 Lehrer notwendig, an unseren Schulen arbei ten 54 000. Damit hat unsere Landesregierung eine Riesenleistung voll bracht.“ Das sehen die Kolleginnen von SPD und Linken anders. Es handele sich um Quereinsteiger statt ausgebildeter Lehrkräfte, die Wege in den Be ruf durch den Ausbau von Studien- und Referendariatsplätzen erleichtert werden. Zusätzlich würden mehr Sozialpädagogen gebraucht und Schullei tungen müssten entlastet werden.
Grüttner fordert mehr Realitätssinn bei den Wünschen. ,,Wir müssen finan ziell leistungsfähig bleiben, nicht noch mehr Schulden hinterlassen.“ Das ärgert Gersberg: ,,Für Jugendliche spielen abstrakte Schulden keine Rolle.
Wir brauchen Investitionen in Bildung. Das Geld kann man woanders ein sparen.“
Beim gegliederten Schulsystem scheiden sich ebenfalls die Geister. SPD und Linke wollen eine Einheitsschule bis zur zehnten Klasse. ,,Eine zu frühe Auslese nach der vierten Klasse zementiert nur die unterschiedlichen Startchancen von Kindern aufgrund ihrer sozialen Herkunft“, betont Wiss ler. Dem widersprechen CDU und FDP. ,,Die Wahlfreiheit in einem geglie derten Schulsystem ist fair, fördert die Schüler am besten und ist auch das, was die Eltern sich wünschen“, so FDP-Mann Oliver Stirböck.
Einen Schlagabtausch provoziert das Thema kostenloser Nahverkehr für Schüler. ,,Allein die ganzen Dieselsubventionen abzuschaffen würde genü gen, um ihn zu finanzieren“, findet Wissler. ,,Die Linken sind groß darin, das Geld anderer Leute auszugeben, nach dem Motto Freibier für alle“, kontert Stirböck. Zuerst müsse der Nahverkehr ausgebaut werden.
Zustimmung erhält der gemeinsame überkonfessionelle Religionsunter richt, wie er an der THS im Sinne der Integration angeboten wird. Die Re gierungsparteien CDU und Grüne fordern aber, weiterhin auch konfessi onsbezogenen Unterricht zu ermöglichen. ,,Jeder Schüler sollte ein Ange bot für seinen persönlichen Glauben vorfinden. Glauben stiftet Identität, das ist ein unglaublicher Wert“, so Grünen-Chef Wagner.
Bewegend für viele Schüler ist das Thema Abschiebungen nach Afghanis tan, die den Parteien zustimmen, die diese völlig ablehnen. Emotional wird es auch, als die Moderatorinnen das Video zum Song „Ich bin kein Nazi, aber“ des Rappers Eko Fresh zeigen, das die derzeitige Stimmung in Deutschland, ihre Phrasen und Vorurteile, wiedergibt. Was tun dagegen?
,,Auch die Politik muss verbal abrüsten“, findet Stirböck. Wissler stimmt zu:
,,Den AfD-Sprachgebrauch zu übernehmen, macht diese nur stark.“ ,,Cou rage zeigen“, fordert Gersberg. ,,Ihr müsst euch einmischen, die Verant wortung liegt bei uns allen.“ Alle bedauern, dass die AfD sich nicht dazu äu ßern kann. ,,Das wäre ein Realitätschock geworden“, meint Stirböck.
Podiumsdiskussion-20.10.18